Aufstieg und Fall des Tabaks in der Kurpfalz

Tabak-Einfädelmaschine (um 1960, Foto von 2002)
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Brechen, Fädeln, Sortieren

Das Anbauen der Tabakpflanze in der Region Kurpfalz, aber auch in Baden und der linksrheinischen Pfalz, war bis vor wenigen Jahren eine jahrhundertealte landwirtschaftliche Tradition. Im Lauf der Zeit veränderten sich die angebauten Tabaksorten, die Mengen und Flächen wurden größer und die Handarbeit wurde teilweise durch Maschinen ersetzt. Doch die grundlegende Anbauweise der Sorte Burley in der Kurpfalz in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts veränderte sich nur marginal. Bei der Tabakernte im Sommer wurden die Blätter einzeln per Hand etagenweise von der bis zu zwei Meter hohen Pflanze „gebrochen“. Mit einer sogenannten Einfädelmaschine – oder früher per Hand - wurden die Blätter an einer Schnur aufgefädelt. Die Schnüre wurden anschließend zum Trocknen über Herbst und Winter in Scheunen oder Folienhäusern aufgehängt. Die getrockneten bräunlichen Blätter wurden schließlich nach Qualität sortiert, zu Bündeln geschnürt und an Industrievertreter verkauft. So sicherten sich kurpfälzische Bauern lange Zeit ihr Einkommen. Doch wie kam eigentlich der Tabak aus Amerika in die Kurpfalz?

Zwischen Broterwerb, Genussmittel
und Staatspolitik

Die Geschichte des europäischen Tabakanbaus und –konsums beginnt mit der Expansion nach Südamerika im 16. Jahrhundert. Jedoch blieb der Tabak nicht lange dort und wurde schon bald in Europa angebaut – von Skandinavien bis in die Ukraine. Bereits im Jahr 1598 soll in der Kurpfalz das erste Mal Tabak kultiviert worden sein. Das sonnige Wetter und die sandigen Böden des Oberrheingrabens erwiesen sich als günstige Anbaugebiete. Neues Wissen über die Pflanzen brachten auch protestantische Glaubensflüchtlinge aus Frankreich und den Niederlanden in die Region. In den 1780er Jahren war der Tabak fest etabliert in der kurpfälzischen Landwirtschaft und nach Textilien das wichtigste Exportgut des Kurfürstentums. Daher hatten die kurpfälzischen – und wenige Zeit später die badischen – Herrscher ein ausgeprägtes Interesse, Quantität und Qualität des Ertrags durch die Etablierung neuer Anbaumethoden und Wissenszirkulation durch Druckschriften und Experteninstitutionen zu erhöhen. Auch die Konsumformen des Tabaks blieben nicht statisch: das Pfeiferauchen war bis zum Ersten Weltkrieg die häufigste Art des Genusses und wurde anschließend von der Zigarette abgelöst, das Schnupfen galt lange als exklusiv aristokratisch. Prägend für die Region waren jedoch die im 19. Jahrhundert entstandenen Zigarrenmanufakturen. 1913 gab es in Baden 843 dieser Fabriken mit etwa 40.000 Mitarbeitenden. Dort arbeiteten mehrheitlich junge Frauen aus ländlichen Gegenden, die durch das Drehen der Zigarren einen Zusatzerwerb für ihre bäuerlichen Familien einbrachten.

Ein Blick in die fast vergessene Vergangenheit
einer Region

In den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg entwickelte sich die Zigarrenproduktion zu dem wichtigsten Industriezweig Badens. Die ländlichen Regionen, allen voran die Kurpfalz, waren geprägt von den langen grünen Pflanzen auf den Feldern, den ikonischen hölzernen Trockenschuppen und den Zigarrenmanufakturen, während zeitgleich die Stadt Mannheim zu
einem der wichtigsten Umschlagplätze Deutschlands für Tabakprodukte wurde. Ganze Familien widmeten sich dem arbeitsintensiven Anbau, wobei besonders rund um das Tabakeinfädeln ein romantisiertes Bild entstand: der Prozess des Einfädelns war zwar anstrengend und monoton, galt und gilt im Nachhinein aber als ein sozialer Treffpunkt und gemeinschaftliche Aktion.

Obwohl die Zigarette in den 1960ern in Deutschland ihren Höhepunkt erlebte, heimische Marken dominierten und bis zu 500.000 Arbeitsplätze an der Tabakindustrie hangen, fand der kurpfälzische Tabak spätestens in den frühen 2000ern seinen Niedergang. Durch das Einstellen der Subventionen der Europäischen Union 2004, die zuletzt bis zu drei Viertel der Erlöse der Tabakbauern ausmachten, und Werbeverbote wurde der Anbau unrentabel. Somit ist die Einfädelmaschine ein Relikt aus einer Zeit, in der Tabak prägend für eine gesamte Region war, nun aber nach und nach in Vergessenheit gerät.