Streitgespräch: Lernen aus dem Kirchenkampf

  • Tagung:

    Oberrheinische Sozietät, Ev.-theol. Fakultät der Universität Heidelberg, WS 2018/19

  • Tagungsort:

    Ev.-theol. Fakultät Heidelberg, Kisselgasse 1

  • Datum:

    18. Oktober 2018

  • Referent:

    Prof. Dr. Johannes Ehmann, Heidelberg

    Dr. Caroline Klausing, Mainz

    Prof. Dr. Rolf-Ulrich Kunze, Karlsruhe

    Dr. Christoph Picker, Landau

  • Zeit:

    20.00 s. t.

  • Streitgespräch: Lernen aus dem Kirchenkampf. Podiumsdiskussion

     

    Rolf-Ulrich Kunze

    8 Thesen zur Diskussion in der Evang. Sozietät, 18.10.2018

     

     

    Zur Motivation meiner Studie zur Badischen Landeskirche in der NS-Zeit

    1. Wir stehen seit einiger Zeit an einem Wendepunkt im öffentlichen Umgang mit der Thematsierung des Nationalsozialismus. Der in geschichtspolitischer Hinsicht in Teilen argumentativ nicht rechtspopulistische, sondern rechtsradikale AfD-Revisionismus ("erinnerungspolitische Wende") führt das drastisch vor Augen. Wir müssen in der Zeit- und Kirchengeschichte neue Wege in der Heranführung an die NS-Zeit finden, sonst entgleitet uns dieses Thema. Die AfD sitzt jetzt schon in öffentlich-rechtlichen Beiräten von Gedenkeinrichtungen.

     

    2. Die sehr gut erforschte Geschichte der Badischen Landeskirche in der NS-Zeit ist ein Beispiel dafür, wie stark moralische Ex-post-Bewertungen zu einer Schwarz-Weiß-Sicht des Kirchenkampfs geführt haben, die keine Graustufen mehr kennt. Diese dichotomische Einteilung in Gut und Böse ist Teil des historisch korrekten, aber nicht mehr historischen Sprechens über den NS. Die Diskurshegemonie dieser Darstellung und ihre Omnipräsenz im Schulgeschichtsunterricht seit den 1990er Jahren hat mit dem Erfolg des Rechtspopulismus insofern etwas zu tun, weil sie vor allem junge Menschen eher abschreckt als aufklärt.

     

     

    Zur Intention meiner Arbeit

    3. Die Frage, ob die Badische Landeskirche in der NS-Zeit intakt oder zerstört war, ist für mich lediglich ein Einstieg in die Diskussion der seit Klaus Scholder etablierten Interpretationstradition eines badischen Sonderwegs. Die kirchlichen Verhältnisse in Baden unterscheiden sich hinsichtlich Alltag und Herrschaft nicht so von Hannover, Württemberg und Bayern, dass man diese Landkirchen von der badischen Entwicklung abheben könnte, schon gar nicht kirchenpolitisch. Am besten wäre es, nach einem kritischen Vergleich auf die Unterscheidung intakt/zerstört zu verzichten, weil sie irreführend ist.

     

    4. Mein eigentliches Interesse gilt der Veränderung von evangelischen Milieus, dem Zusammenhang von Sozialstruktur und Mentalitäten, in der NS-Zeit und über den Kirchenkampf und seine badischen Besonderheiten hinaus. Das methodische Beispiel dafür ist Frank-Michael Kuhlemanns Bielefelder Habil.-Schrift über die badischen Pfarrer 1860 bis 1914. Besonders interessieren mich die Mentalitätsentwicklung im kirchlich-positiven Bekenntnisumfeld und bei den in der liberalen Tradition stehenden DC.

     

    5. Die traditionelle Gruppeneinteilung im Kirchenkampf (BK, Mitte, DC) passt möglicherweise nicht nur nicht für Baden, sondern ist überhaupt untauglich. Sieht man auf die gesamte NS-Zeit – also nicht nur bis zur BTE – spielen diese Gruppen für die kirchenpolitische und theologische Identitätskonstruktion nicht die Rolle, die ihnen die Kirchenkampfgeschichtsschreibung lange nachgesagt hat. Dafür gibt es zu viele Wechsler und nicht Zuzuordnende.

     

     

    Zur Methodik

    6. Mein Ansatz ist im wesentlichen diskursanalytisch und verfolgt die Selbstbildkonstruktionen in der kirchlichen Publizistik. Eine historische Diskursanalyse theologischer Texte steht bis jetzt noch aus. Sie ermöglicht ein kommunikationstheoretisches Verständnis von Mustern der Relevanzbildung sowie Strategien der Valorisierung, indem sie das Sender-Empfänger-Verhältnis in den Blick nimmt.

     

    7. Klassische sozialgeschichtliche Kurzschlüsse im Stil von Manfred Gailus halte ich für verfehlt und regressiv, nicht nur mit Blick auf die von ihm untersuchte Berliner Pfarrerschaft. Hier werden immer wieder zirkelschlüssig apriorische Werturteile über die Sozialstruktur auf die Mentalitätsgeschichte retroprojiziert: da ist die historische Forschung seit dem cultural turn weiter. Es gibt sozialmoralische Milieus und ihre Bedeutung, aber sie determinieren bereits im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts schon aufgrund der flagranten Milieuerosion durch wachsende soziale Mobilität nicht mehr in dem Maß die Mentalitätsbildung wie übrigens nur die deutsche Sozialgeschichte das annahm.

     

     

    Ausblick

    8. Wenn die evangelische kirchliche Zeitgeschichte eine Zukunft haben soll, muss sie sich von moralisch bequemen Lieblingsinterpretationen verabschieden. Dazu gehört auch, sich endlich der tiefen Ambivalenz in der BK-Geschichte zu stellen, die es nur deshalb bis jetzt nicht als große Synthese gibt, weil die evangelische Theologie sich vor den hier zutage tretenden Grauzonen auf ganz unreformatorische Weise fürchtet. Die BK entspricht keineswegs dem hohen moralischen Ton der EKD-Grundsatzpapiere seit den 1960er Jahren.